Kinderverschickung zwischen 1945 und 1989: Schätzungsweise 9,8 bis 13,2 Millionen Kinder wurden in der Bundesrepublik Deutschland in sogenannte Kinderkurheime geschickt. Offiziell sollten diese Aufenthalte der „Erholung“ und „Gesundheitsvorsorge“ dienen – in Wirklichkeit waren sie für viele Betroffene eine Quelle von Angst, Ohnmacht und Leid.
➡️ Nahezu jede(r) zweite westdeutsche Schüler(in) war betroffen.
Heute sind diese Kinder zwischen 42 und 86 Jahre alt. Viele von ihnen leiden noch immer an den psychischen Folgen dieser Kindheitserfahrungen.
Was war die Kinderverschickung?
Die „Kinderverschickung“ bezeichnete organisierte Aufenthalte von Kindern in Kur- und Erholungsheimen, die von Krankenkassen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und der Deutschen Rentenversicherung finanziert und organisiert wurden. Ziel war offiziell die „Stärkung“ oder „Aufpäppelung“ schwacher Kinder. Doch hinter der Fassade der Fürsorge verbargen sich vielfach autoritäre Strukturen, Disziplinierung und Gewalt in den Kinderkurheimen.
Traumatisierende Maßnahmen in den Kinderkurheimen
Die aktuelle Studie der Deutschen Rentenversicherung belegt eine Vielzahl von Praktiken, die nach heutiger Sicht als potentiell traumatisierend gelten. Dazu gehörten:
- Trennung von den Eltern über Wochen
- Besuchs- und Telefonverbote, Zensur von Briefen
- Essenszwang bis zum Erbrechen, erzwungener Verzehr von Erbrochenem, Entzug von Süßigkeiten
- Bloßstellung bei Bettnässen: nasse Laken zeigen, nasse Wäsche am Bettpfosten, Strafstehen im Flur
- Körperliche Gewalt: Ohrfeigen, Schläge mit Stock oder Teppichklopfer, Ziehen an Haaren und Ohren
- Strafpraktiken: stundenlanges Stehen, Kniestellungen, Zwangsliegen, Einsperren in Waschräumen
- Angstinszenierungen durch Drohgeschichten und Einschüchterung
- Bloßstellungen im Waschraum, kalte Zwangsduschen
- Medikamentengaben ohne Aufklärung, teils Sedierungen, Verdacht auf Medikamententests
- Sexualisierte Gewalt im Rahmen angeblicher „medizinischer Untersuchungen“
Diese Erlebnisse trafen Kinder in einer sensiblen Entwicklungsphase, in der Geborgenheit und Vertrauen entscheidend sind. Stattdessen wurden sie mit Ohnmacht, Angst und Scham konfrontiert.
Psychische Folgen und Langzeitfolgen der Kinderverschickung
Viele Betroffene berichten noch Jahrzehnte später von nachhaltigen Folgen, die typisch für Traumafolgestörungen sind:
- chronische Angstzustände
- Scham- und Schuldgefühle, die bis ins Erwachsenenalter wirken
- Bindungsstörungen und Schwierigkeiten, Vertrauen aufzubauen
- Depressionen, Angst- und Panikstörungen
- Flashbacks, Albträume, körperliche Stressreaktionen wie Herzrasen oder Zittern
- Misstrauen gegenüber Institutionen und Autoritäten
- Gefühle von Einsamkeit und innerer Leere
Diese Symptome decken sich mit dem, was wir aus der Traumatherapie über die Auswirkungen von Kindheits- und Bindungstraumata wissen.
Warum dieses Thema heute so wichtig ist
Die meisten Betroffenen sind heute im Rentenalter oder mittleren Erwachsenenalter. Viele haben über Jahrzehnte geschwiegen – aus Scham oder weil sie ihre Erfahrungen als „normal“ ansahen. Erst die aktuelle Aufarbeitung zeigt das ganze Ausmaß.
Für die Traumatherapie ist dies von zentraler Bedeutung: Menschen, die heute zwischen 40 und 80 Jahre alt sind und mit Depressionen, Ängsten oder Bindungsschwierigkeiten kämpfen, können unbewusst Spuren ihrer Kinderverschickung mit sich tragen.
Traumatherapie als Chance zur Heilung
Die Aufarbeitung der Kinderverschickung ist nicht nur ein historisches Projekt. Sie betrifft die Gegenwart. In der Traumatherapie in Berlin-Kreuzberg geht es darum, diese Erfahrungen zu würdigen, das erlebte Leid anzuerkennen und Betroffenen Wege zu eröffnen, mit ihren Erinnerungen und Gefühlen heilsam umzugehen.
Methoden wie EMDR, Ego-State-Therapie, Hypnotherapie und körperorientierte Verfahren können helfen, die alten Bilder und Gefühle zu integrieren und den Betroffenen wieder ein Stück Sicherheit und Selbstbestimmung zurückzugeben.
Fazit
Die Kinderverschickung war kein harmloser Erholungsaufenthalt, sondern für Millionen Kinder ein einschneidendes Erlebnis voller Zwang, Gewalt und Entwertung. Die Folgen reichen bis heute – sichtbar in den Seelen von Menschen, die damals Kinder waren.
Wer heute zwischen 42 und 86 Jahre alt ist und unter unerklärlichen Ängsten, Bindungsproblemen oder anhaltenden Gefühlen von Scham und Einsamkeit leidet, könnte unbewusst noch Spuren dieser Kindheitserfahrungen in sich tragen.
Es ist Zeit, dieses kollektive Trauma anzuerkennen – und Betroffenen Räume für Heilung zu öffnen.
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📖 Den ausführlichen Abschlussbericht der Forschungsgruppe zu diesem Thema finden Sie hier: Abschlussbericht Kinderverschickung


